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Langfristiger Geschäftserfolg: Wohin führt mich der Markt

· Translation,Übersetzen,Unternehmer,Spezialisierung

In meinem Artikel für Übersetzer:innen und Dolmetscher:innen habe ich 2022 das Thema „Spezialisierung“ erörtert. Dieses Thema ist für Anfänger sehr wichtig, denn die ersten Aufträge meistens nicht auf ein Thema begrenzt sind, sondern „wild gemischt“. Somit entsteht bei den Anfängern berechtigte Frage: Soll ich mich lieber auf einen Themenbereich beschränken, oder nehme ich auch weiter alle möglichen Aufträge an? Ausführlicher könnt ihr meine Überlegungen dazu hier lesen.

Von Gummistiefeln zu Handys

Die Wahl der Spezialisierung ist sehr eng an die Marktsituation und Bedürfnisse der Kunden gebunden. Schon mehrmals habe ich bei Netzwerktreffen in Unternehmer:innenkreisen die gleiche Geschichte gehört: Man hat eine Idee und gründet mit einem Angebot ein Unternehmen. Das Angebot klingt toll und sollte sich eigentlich fast von selbst verkaufen. Nach einiger Zeit stellt man aber fest, dass es aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen nicht passiert. Das kann einerseits an den Verkaufsfähigkeiten des Gründers liegen, aber manchmal ist die Zeit für das Produkt noch nicht reif. Danach stellt der Gründer die Produktion komplett um oder erarbeitet ein neues Produkt. Beispiele aus der Industrie: Nintendo produzierte früher Spielkarten, Nokia handelte mit Toilettenpapier, Gummistiefeln und Reifen. Mehr dazu bei Watson.

Mit der Zeit mussten sich Unternehmen an den Markt (= aktuelle Bedürfnisse der Kunden) anpassen und eventuell neue Wege einschlagen.

Was bedeutet das für deine Spezialisierung?

Es ist also nicht immer möglich, eine Spezialisierung jahrelang zu behalten. Ich habe als technische Übersetzerin für Deutsch-Russisch angefangen. Warum war das so? Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland waren in den Nullerjahren sehr eng. Viele gemeinsame Unternehmen wurden gegründet, die Produktion wurde von Deutschland nach Russland erweitert. So entstand Nachfrage für technische Übersetzungen. Nach einigen fetten Jahren schrumpften jedoch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Parallel dazu kamen aber immer mehr russischsprachige Student:innen und Spezialist:innen aus Russland nach Deutschland. Auch die Zahl der internationalen Ehen war groß. So kam es zu mehr Anfragen für die Übersetzung von Urkunden. Die Nachfrage verlagerte sich in meinem Fall von technischen Übersetzungen zu Urkundenübersetzungen. Natürlich liefen auch technische Übersetzungen weiter, nur wurden sie immer seltener. Ich nahm diese Entwicklung wahr und musste mich entscheiden: weiter in technische Übersetzungen Zeit und Kraft zu investieren oder in Richtung neuer Spezialisierung zu gehen.

Natürlich kann man auch zwei oder drei Spezialisierungen parallel laufen lassen, um zu sehen, welche „gewinnt“. Es hat ein wenig gedauert, bis ich das Angebot „Urkundenübersetzungen“ und das Dolmetschen bei Behörden und Ämtern in mein Portfolio aufnehmen konnte. Aber dank der Kundenanfragen war für mich klar: Die Lage auf dem Markt verändert sich, und zwar ständig.

Augen auf!

Du siehst, die Nachfrage geht mit den Interessen der Wirtschaft, das heißt, mit Bedürfnissen der Menschen einher. Wandern Leute ein oder aus, steigert die Nachfrage nach bestimmten Sprachkombinationen. Verbessern sich internationale Beziehungen, werden mehr Unternehmen im Ausland gegründet, und das steigert die Nachfrage nach Übersetzungen im Bereich Wirtschaft. Verschlechtert sich die Wirtschaftslage, spüren kleine Unternehmen das zuerst. Selbstständige zählen damit zum Frühwarnsystem für größere Veränderungen – mehr dazu auch in meinem Artikel zum „schwarzen Schwan“ von 2020 anlässlich des Beginns der Pandemie.

Es ist daher zu empfehlen, immer auf dem Laufenden zu bleiben, um die neuen Marktentwicklungen nicht zu verpassen und rechtzeitig auf neue Marktforderungen reagieren zu können. Wie machst du das? Nachrichten lesen, politische Entwicklungen nicht außer Acht lassen, mit Kolleg:innen und Kund:innen reden, Blogbeiträge des DVÜD und anderen Berufsverbänden lesen.

Ein ständiger Wandel

In den 1990ern wurde der Übergang von der Schreibmaschine zum Computer abgeschlossen. 2006 kam Google Translate auf den Markt. Parallel dazu wurden CAT-Tools weiterentwickelt und verbreitet. Natürlich haben diese Entwicklungen den Übersetzermarkt stark beeinflusst. Traditionell ausgebildete Übersetzer mussten plötzlich viel um Übersetzen herum lernen und an der Grenze zu IT-Spezialisten arbeiten, um auf dem Markt zu bleiben. Ebenso ändern sich Marktverhältnisse seit 2020 im Bereich Dolmetschen: Vor Corona hat sich Remote Interpreting (zumindest in Deutschland) nicht so gut durchgesetzt wie in der Pandemiezeit und danach.

In den letzten Jahren kamen neue Spezialisierungen auf den Markt: zum Beispiel Leichte Sprache bei Behörden oder in Museen (wegen EU-Vorgaben zur Barrierefreiheit) oder diskriminierungsfreie Sprache im Literaturübersetzen. Seit Dezember 2022 schwärmen Leute von der Leichtigkeit, mit der ChatGPT neue Texte produziert, warnen aber auch davor, diese Texte für bare Münze zu nehmen.

Ebenso ändert sich mit der Zeit die Anfrage für bestimmte Sprachkombinationen. Während Englisch seit langem gefragt ist und der Wettbewerb in dieser Sprache sehr hoch ist, konnte man kaum ahnen, dass seit letztem Jahr Ukrainisch so stark angefragt wird.

Große Fragen für kleine Unternehmen

Daher sollte man immer auf die neuen Trends schauen und mitdenken: Was mache ich, wenn? Was kann ich meinen (neuen) Kunden anbieten? Ändert sich etwas dadurch, dass ein neuer Trend gerade kommt? Kann ich das für mein Geschäft nutzen oder kann es sogar meinem Geschäft schaden? Was kann ich eventuell dagegen tun?

Diese Fragen stellen sich nicht nur freiberuflichen Übersetzer:innen. Das sind die Fragen, die sich sowohl ganz kleine als auch die ganz großen Unternehmen stellen. Schafft man es nicht rechtzeitig, einen bedeutenden Trend zu erkennen, spürt man das nach einiger Zeit an der eigenen Tasche.

Welche Trends der letzten Jahre haben dein Übersetzergeschäft beeinflusst?